Donnerstag, 15. Juni 2006

Deutschland - Polen

Ich habe es mir gestern angetan, Deutschland gegen Polen auf der Leinwand im Hotel anzuschauen. Zumindest hatte ich die Absicht dazu und nicht die Rechnung mit meinen Gästen bzw. einem Gast gemacht.

Mitte 50 mit Mutti auf Kurzurlaub betrat er pünktlich um 20.30 Uhr den Raum und nahm zielstrebig den besten Platz ein. Mutti erblickte die Leinwand: "Ui, das ist ja hier wie im Kino, so gross habe ich den Netzer noch nie gesehen." Vati: "Der hatte noch nie Grösse!". Gut, ein gesunder Einstand, nicht unbedingt der Schenkelklopfer, aber ok, man muss sich ja erst einmal vorsichtig abtasten. Anschliessend ein weinig Small-Talk über Tunesien-Saudi Arabien ("Die haben gar keine Daseinsberechtigung bei so einer WM"), der mich dann doch ein wenig aufhorchen liess aber vielleicht war ich zu sensibel (war ich doch nicht).

"Geh, was reden die Reporter für ein Schmarrn'" ging es los in die nächste Runde, zu diesem Zeitpunkt waren die Mannschaften noch nicht aufgelaufen. Der Akzent meines Mitsehers und die gleichzeitige Grosseinstellung von Jens Deutschland Lehmann liess erahnen, dass ich neben einem Titan-Fan sass.

Der Raum füllte sich mit weiteren Fussballinteressierten und auch ein Amerikanisches Ehepaar gesellte sich dazu.

Nationalhymnen, Anpiff, zwei, drei Ballkontakte - ein völlig normales Fussballspiel. Dann das erste Foul seitens der Polen und ein Zucken ging durch die Reihen "Erst uns die Arbeitsplätze wegnehmen und dann auch noch den Schneider treten" dröhnte es von links in mein Ohr. Gut, hätte man sicherlich als nicht so gelungenen Witz interpretieren können, aber der Kollege entzürnte sich bei jedem Pfiff mehr und mehr. "Wie kann man bei so einem Spiel einen Spanier als Schiedsrichter aufstellen? Der will uns doch glatt aus dem Finale pfeifen." (Ich wusste nicht, dass wir uns bereits so weit qualifiziert hatten.) Jedes polnische Foul wurde vehement und lautstark als Abschaum, potentielle rote Karte, Absicht oder als Fehlentscheidung des Schiedsrichters gewertet. Deutsche Fouls hingegen wurden mit "Gut gemacht, den musste er legen." lapidar abgegolten.

Dann kam der Moment, den ich bereits lange erahnt habe. Ein erneuter Pfiff vom Schiedsrichter und Mutti fragt:
"Warum hat der denn jetzt gepfiffen, da ist doch keiner umgefallen?"
Betretenes Schweigen bei der offensichtlichen Situation.
"Der stand im Abseits." erklärte Vati noch im annehmbaren Ton und dann kam der Moment, wo Mutti einen taktischen Fehler gemacht hat, der sonst nur in der Kreisklasse A vorkommt.
"Was ist Abseits?"
Dortmund ist vom Gewitter gestern verschont geblieben - kein Wunder, es entlud sich just in diesem Moment über unser Haus.
"Wie oft habe ich Dir schon erklärt, was Abseits ist?! Kannst Du dusselige Kuh es Dir nicht ein für allemal merken?"

Erinnerungen an Tetzlaff's "Besuch aus der Ostzone" wurden wach und ein bedrückendes Schweigen vermengt mit Vatis Grummeln lag im Raum. Die Amerikaner werden so sicher nie Freude am Soccer finden.

Man konnte hoffen, dass die Polen den Gedanken an Fair-Play nicht verlieren und Mutti sich schnellstens an die Basis-Fussballregeln erinnern würde, damit wir in Ruhe das Spielen schauen und geniessen konnten.

Leider hat mein anderer Nachbar (ruhiger, gesetzter Mann im fortgeschrittenen Alter) dann Mitte der ersten Halbzeit gewagt festzustellen, dass die Polen das (zu diesem Zeitpunkt vollkommen richtig) bessere Spiel liefern würden. Auaauaha dachte ich noch kurz, ob das wohl so geschickt war? Nein, war es nicht, Vati hatte ihn sofort auf seine charmante bayrische Art zurecht gewiesen und ihm fachliche Inkompetenz bezeugt.

Mein freudiger Fussballabend nahm so in der 28. Minute abrupt ein jähes Ende und setzte sich auf 52cm Bildschirmdiagonale in Ruhe in der Hotellobby fort.
Vati hingegen konnte die 2. Halbzeit mit Mutti allein im Kino geniessen, alle anderen Mitseher haben es vorgezogen, den Rest des Spiels auf ihrem Zimmer zu verfolgen.

Vati ist mit Mutti heute morgen abgereist, so dass ich es wagen kann, mir heute nachmittag Ekuador - Costa Rica im Grossformat und hoffentlich in Ruhe anzuschauen.

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